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Sensorik: Chemische Basiskonzepte mit Nase und Zunge erfahrbar machen

Sensory evaluation: making it possible to experience basic chemical concepts with nose and tongue

Stephanie Muche

Corresponding Author

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Carl von Ossietzky Straße 9-11, 26129 Oldenburg

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Verena Pietzner

Corresponding Author

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Carl von Ossietzky Straße 9-11, 26129 Oldenburg

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First published: 20 November 2020

Abstract

de

Sensorik ist das Prüfen und Messen von Lebensmitteleigenschaften mithilfe der menschlichen Sinne. Dabei können die menschlichen Sinnesorgane zum einen dazu eingesetzt werden, um zu überprüfen, ob Lebensmittel genusstauglich oder verdorben sind. Zum anderen können sie für sensorische Analysen eingesetzt werden, um Eigenschaften von Lebensmitteln zu identifizieren und zu quantifizieren. Demnach kann die Sensorik sowohl zur Überprüfung der Qualität als auch zur Akzeptanz von Lebensmitteln eingesetzt werden. Die verschiedenen sensorischen Untersuchungsmöglichkeiten können in hedonische und analytische Methoden unterschieden werden. In diesem Artikel werden zunächst der Geruchs‐ und Geschmackssinn sowohl anatomisch als auch unter chemischen Gesichtspunkten betrachtet. Im Anschluss werden mögliche Bezüge zu den Kerncurricula Chemie beider Sekundarstufen hergestellt. In der Online‐Ergänzung werden Experimente vorgestellt, die geeignet sind, um die Hintergründe des Riechens und Schmeckens experimentell zu erschließen.

Translation abstract

en

Sensory evaluation is the testing and measuring of food properties using the human senses. On the one hand, the human sensory organs can be used to check whether foods are suitable for human consumption or are spoiled. On the other hand, they can be used for sensory analysis to identify and quantify food properties. Accordingly, the sensory evaluation can be used both for checking the quality and the acceptance of food. The different sensory examination methods can be differentiated into hedonic and analytical sensory methods. In this article, the sense of smell and taste are considered both anatomically and chemically. Based on this analysis possible links between the sensory evaluation and the curriculum for chemistry education in both middle and high school levels will be described. The online supplement presents experiments that are suitable for exploring the background of sensory evaluation with a focus on smelling and tasting within a classroom environment.

1 Einleitung

Unter Sensorik versteht man das Prüfen und Messen von Eigenschaften mithilfe der menschlichen Sinne. Sie ist neben chemischen, physikalischen und mikrobiologischen Methoden eine wichtige lebensmittelchemische Untersuchungsmethode [1, S. 1]. Dabei dienen die menschlichen Sinnesorgane als Messinstrumente, mit denen Rückschlüsse auf die Qualität und Zusammensetzung von Lebensmitteln gezogen werden können. Die sensorischen Untersuchungen gewinnen immer mehr an Bedeutung und werden unter anderem in den folgenden Bereichen eingesetzt [2, S. 11 f.]:

  • Entwicklung neuer Lebensmittel/Geschmacksrichtungen

  • Ermittlung der Konsumentenbeliebtheit

  • Qualitätssicherung

  • Qualitätsverbesserung von Produkten

  • Beurteilung von Einflüssen, die auf Lebensmittel einwirken können, wie beispielsweise die Lagertemperatur und die Lichteinwirkung.

Während sensorische Tests in der Lebensmittelindustrie und ‐überwachung eine wichtige Rolle spielen, finden sich nur wenige fachdidaktisch aufbereitete Materialien für den Unterricht. Dieser Artikel stellt, ausgehend von einer fachlichen Klärung, grundlegende Versuche zur Sensorik vor, wie sie auch in der Lebensmittelchemie durchgeführt werden. Sie sind geeignet, zu verschiedenen Basiskonzepten lebensweltliche Bezüge herzustellen und dabei verschiedene Kompetenzen zu fördern.

2 Allgemeine Informationen zur Sensorik

Sensorische Untersuchungen, die auf die Untersuchung der Lebensmittelqualität abzielen, werden den analytischen Prüfungen zugeordnet, während die Untersuchung der Lebensmittelakzeptanz oder ‐beliebtheit als hedonische Prüfungen bezeichnet werden. Da es dabei um den subjektiven Eindruck geht, bei denen die persönlichen Meinungen, die Vorlieben und die Bedürfnisse der Prüfpersonen im Vordergrund stehen, können hedonische Sensorikprüfungen auch von ungeschulten Prüfpersonen durchgeführt werden. Die Auswahl der Prüfpersonen kann anhand verschiedener Kriterien erfolgen [3, S. 35 ff.]. Dazu zählen beispielsweise das Alter, der Beruf oder auch das Geschlecht 4. Ein Beispiel für eine solche hedonische Prüfung ist der Versuch 1 „Beliebtheitsprüfung“ aus der Online‐Ergänzung. Bei der Beliebtheitsprüfung werden fünf Getränke (z. B. Cola oder Zitronenlimonade) gleicher Art, jedoch von unterschiedlichen Herstellern mit Alufolie umwickelt, um die Marke zu verdecken, und mit den Nummern von eins bis fünf beschriftet. Die Schülerinnen und Schüler probieren nacheinander die fünf verschiedenen Getränke und ordnen die Getränke nach ihrer persönlichen geschmacklichen Präferenz.

Analytische Sensorikuntersuchungen sind objektive Prüfungen und dürfen hingegen ausschließlich von geschulten Panelisten durchgeführt werden, die bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Das sind neben allgemeinen Voraussetzungen, wie die Neutralität gegenüber den zu verkostenden Produkten, vor allem physiologische Anforderungen (gute Gesundheit, keine Riech‐ und Geschmacksstörungen sowie keine Farbenblindheit und keinerlei Unverträglichkeiten und Allergien), psychologische Anforderungen (Teamfähigkeit und Objektivität) und sprachliche Voraussetzungen (gutes Ausdrucksvermögen) 4. Unterteilt werden die analytischen Sensorikprüfungen in Unterschiedsprüfungen und deskriptive Prüfungen. Bei Unterschiedsprüfungen werden zwei oder mehr Produkte miteinander verglichen, um kleine Unterschiede zwischen ähnlichen Produkten festzustellen. Zu den Unterschiedsprüfungen zählen unter anderem die Rangordnungsprüfung und auch der Dreieckstest. Beim Dreieckstest bekommt jede Prüfperson drei Proben vorgelegt, von denen zwei identisch sind. Ziel des Dreieckstestes ist es, die abweichende Probe zu identifizieren [3, S. 35 f.].

Der Dreieckstest wird mit Versuch 2 aus der Online‐Ergänzung verdeutlicht. Dafür werden drei Gefäße mit den Buchstaben von A bis C beschriftet und entweder mit Schokolade unterschiedlicher Kakaoanteile (z. B. Lindt 70 % und 85 % Kakaoanteil), Getränken oder Äpfeln gefüllt, wobei zwei Gefäße dasselbe Produkt enthalten und ein Gefäß das abweichende Produkt. Die Schülerinnen und Schüler probieren nacheinander den Inhalt der drei Gefäße und sollen mithilfe ihrer eigenen Sinne das abweichende Produkt identifizieren.

Bei den Rangordnungsprüfungen sollen die vorliegenden Proben nach einer bestimmten Eigenschaft, wie beispielsweise dem Säuregehalt, in einer Reihe, auf‐ oder absteigend, angeordnet werden [2 S. 55]. Um das Prinzip einer Rangordnungsprüfung zu verdeutlichen, kann der Versuch 3 „Rangordnungsprüfung“ aus der Online‐Ergänzung herangezogen werden. Hierbei sollen fünf Orangensäfte auf‐ oder absteigend nach der Intensität des sauren Geschmacks angeordnet werden. Es stehen fünf Orangensaft‐Lösungen bereit, die zuvor mithilfe von unterschiedlichen Mengen an Citronensäure präpariert worden sind (Lösungen A bis E). Die Schülerinnen und Schüler probieren nacheinander die fünf verschiedenen Orangensaft‐Lösungen und ordnen die Lösungen anhand der Intensität des Merkmals aufsteigend an.

Deskriptive Prüfungen haben hingegen das Ziel, dass Produkteigenschaften qualifiziert und quantifiziert werden. Dazu zählen unter anderem die beschreibenden Prüfungen. Die Prüfungen werden in zwei Phasen unterteilt. In der ersten Phase werden die zu untersuchenden Produkte nach dem Aussehen, Geruch, Geschmack sowie der Textur beschrieben und in Phase zwei folgt die Quantifizierung der Produkte anhand der Intensität [3, S. 36].

Ein Beispiel für eine deskriptive Prüfung ist der Versuch 4 „Optik beeinflusst den Geschmack“ aus der Online‐Ergänzung. Dafür werden drei Schalen mit Joghurt gefüllt und diese mit unterschiedlichen Lebensmittelfarben eingefärbt und mit den Zahlen von eins bis drei beschriftet. Die Schülerinnen und Schüler probieren nacheinander die drei Joghurts und sollen herausfinden, um welche Sorte es sich handelt. Dabei soll erkannt werden, dass die Farbe des Lebensmittels den Geschmack beeinflusst, denn viele Menschen erwarten beispielsweise bei einem roten Joghurt, dass dieser nach „Kirsche“ oder „Erdbeere“ schmeckt und schmecken dies tatsächlich heraus, obwohl weder das eine noch das andere enthalten ist. Mit dem Experiment soll verdeutlicht werden, wie leicht sich die Geschmackswahrnehmung durch Farben und Erwartungen beeinflussen lässt.

3 Fachinformation zur Sensorik – Geruch und Geschmack

Die Analyse sensorischer Eigenschaften erlangt immer mehr Aufmerksamkeit, da die Menschen Essen und Trinken nicht einfach mit der Aufnahme von Nährstoffen assoziieren. Es stellt vielmehr Genuss und Lebensfreude dar, denn der Mensch isst in der Regel nur das, was ihm vom Aussehen, Geruch und Geschmack zusagt [5, S. 1].

3.1 Geruch

Der Geruchssinn ist ein Fernsinn, der auf chemischen Reizen basiert [6, S. 524]. Da Mundhöhle und Nasenhöhle direkt miteinander verbunden sind, können Geruchsmoleküle von der Mundschleimhaut zur Riechschleimhaut der Nase aufsteigen. Dabei können Gerüche entweder pronasal, durch direktes Riechen, oder retronasal, während des Verzehrs eines Lebensmittels, wahrgenommen werden [2, S. 16]. Der Geruchssinn ist für die Qualitätsbeurteilung eines Lebensmittels bedeutungsvoll, denn er gibt einerseits Auskunft über die Frische und Unversehrtheit von Lebensmitteln und andererseits weisen bestimmte Gerüche auf einen beginnenden oder fortschreitenden Verderb und damit auf eine gesundheitsgefährdende Veränderung hin. Das bedeutet, dass der Geruchssinn eine wichtige Schutzfunktion innehat [7, S. 16].

Geruchsempfindungen werden durch flüchtige chemische Verbindungen hervorgerufen. Dabei werden die riechbaren, gasförmigen Stoffe entweder mit eingeatmeter oder ausgeatmeter Luft an die Rezeptoren herangeführt. Beim normalen Atemvorgang erreicht die Atemluft das Riechzentrum jedoch nicht in vollem Umfang. Wird die Luft hingegen durch „Schnüffeln“ verwirbelt, wird die Luft steil und in rotierender Bewegung zum Riechzentrum gepumpt und dort festgehalten, sodass intensivere Geruchsreize empfunden werden können. Wird hingegen der Atem angehalten, ist keine Geruchsempfindung mehr möglich [7, S. 17].

Geruchsempfindlich ist die fetthaltige Riechschleimhaut (Regio olfactoris, Abb. 1) im Dach der Nasenhöhle des Menschen. Diese olfaktorische Region wird auch als Riechepithel bezeichnet. Es setzt sich aus drei verschiedenen Zelltypen zusammen: den Riechzellen, den Stützzellen und den Basalzellen. Die etwa 30 Millionen Riechzellen haben dabei nur eine durchschnittliche Lebensdauer von einem Monat, wobei neue Riechzellen aus den adulten Basalzellen gebildet werden. Die Geruchsreize werden auf einer etwa 2 ⋅ 5 cm2 großen Fläche durch Rezeptoren, die auf den Haaren der Riechzellen liegen, empfangen und weitergeleitet (siehe Abbildung 1 links: rosa eingefärbter Bereich) [8, S. 782]. Um die Rezeptoren zu erreichen, müssen die Duftstoffe in der oberflächlichen Schleimschicht der Riechschleimhaut gelöst werden. Bindet ein Duftmolekül an einem spezifischen Rezeptor, so wird über ein olfaktorisches G‐Protein das Enzym Adenylatzyklase aktiviert. Mithilfe dieses Enzyms wird aus Adenosintriphosphat (ATP) cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP) gebildet, welches kationenpermeable Ionenkanäle öffnet, sodass Natrium‐ und Calciumionen in die Zelle einströmen und die Zellen depolarisieren können [8, S. 784 f.]. Demnach werden die chemischen Duftsignale in elektrochemische Signale umgewandelt, sodass ein Geruch wahrgenommen werden kann [2, S. 16].

image

Lage (links) und schematischer Aufbau der Riechschleimhaut Regio olfactoris (rechts) [8, S. 783].

Die Wahrnehmung von Gerüchen und deren Beurteilung ist dennoch von Person zu Person unterschiedlich. Als wichtige Einflussfaktoren sind hierbei das Rauchen, das Hunger‐ und Sättigungsgefühl sowie emotionsorientierte Prägungen (Erziehung oder Situationen, in denen die Gerüche kennengelernt werden) zu nennen, die sich auf die Wahrnehmung von Gerüchen und deren Beurteilung auswirken können. Zudem nimmt mit dem Alter die Fähigkeit ab, Gerüche wahrzunehmen und zu erkennen, da sich im Alter die Riechschleimhaut der Nase verändert und langsamer regeneriert [2, S. 17]. Vom Menschen können bis zu 10.000 Gerüche wahrgenommen werden, wobei die Gerüche in acht typische Primärgeruchsklassen (ätherisch, kampferartig, moschusartig, blumig, minzig, stechend, faulig und schweißig; Tabelle 1) eingeordnet werden können [8, S. 783; 9].

Table 1. Übersicht der Primärgerüche [8, S. 784; 9].

Duftklasse

Bekannte Verbindung

Vorkommen

Alltagsgeruch

Blumig

Ätherisch

Moschusartig

Kampherartig

Faulig

Minzig

Schweißig

Stechend

Geraniol

Benzylacetat

Moschus

Cineol, Kampher

Schwefelwasserstoff

l‐Menthol

Buttersäure

Ameisensäure, Essigsäure

Rosen

Birnen

Moschus

Eukalyptus

Faulen Eiern

Pfefferminze

Schweiß

Branntweinessig

Rose

Fleckenwasser

Angelika‐Würzöl

Mottenpulver

Faule Eier

Pfefferminzbonbon

Ranzige Butter

Essig

Der Geruchseindruck eines Moleküls ist unter Umständen auch von der räumlichen Konfiguration abhängig: So riecht beispielsweise das Enantiomer d‐Carvon nach Kümmel, wohingegen das Enantiomer l‐Carvon nach Pfefferminze riecht (Abb. 2) 10.

image

Strukturen der Enantiomere l‐Carvon (links; riecht nach Pfefferminze) und d‐Carvon (rechts; riecht nach Kümmel) [10].

Ein ähnliches Beispiel findet sich bei den Enantiomeren d‐ und l‐ Limonen, welche nach Orange oder terpentinig riechen (Abb. 3) 10.

image

Strukturen der Enantiomere l‐Limonen (links; riecht nach Terpentin) und d‐Limonen (rechts; riecht nach Orange) [10].

Die Abhängigkeit des Geruches von der räumlichen Konfiguration der Moleküle kann anhand des Versuches Geruch ist „chiral“ aus der Online‐Ergänzung (Versuch 5) experimentell untersucht werden. Dafür werden Gefäße mit je einem Wattepad bestückt, auf welche zuvor die entsprechende Substanz gegeben worden ist. Die Gefäße werden nacheinander geöffnet und abgerochen, sodass erkannt werden kann, dass die Enantiomere sich in ihrem Geruch unterscheiden.

Die Geruchsempfindlichkeit wird unterschieden in die Wahrnehmungs‐ und Erkennungsschwelle 9. An der Wahrnehmungsschwelle kann ein Geruch gerade wahrgenommen, aber nicht identifiziert werden. Um einen Geruch identifizieren zu können, muss die Erkennungsschwelle erreicht werden, deren Konzentration in etwa zehnmal höher liegt als die der Wahrnehmungsschwelle. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die menschliche Nase für bestimmte Gerüche empfindlicher ist als für andere. Die Geruchs‐ und Erkennungsschwelle wird dabei durch die Anzahl der Moleküle pro Liter Luft bedingt, ab der eine Wahrnehmung möglich wird (Tabelle 2). Beispielsweise liegt der Erkennungsschwellenwert für Skatol, welches einen nach Fäkalien stinkenden Geruch aufweist, bei etwa 7,3 ⋅ 107 Molekülen/Liter Luft, sodass nur wenige Duftmoleküle eine Sinneszelle treffen müssen, damit der Geruch erkannt werden kann [8, S. 786 f.; 11].

Table 2. Erkennungsschwellenwerte einiger Riechstoffe 11.

Substanz

Riecht nach

Schwellenwert [Moleküle ⋅ urn:x-wiley:09445846:media:ckon202000016:ckon202000016-math-0001 Luft]

Skatol

Ethylmercaptan

Muscon

Buttersäure

Vanillin

ß‐Ionon

Naphthalin

Menthol

Fäkalien

verfaultem Kohl

Moschus

Schweiß

Vanille

Veilchen

Mottenpulver/Tee

Pfefferminze

7,26 ⋅ 107

2,67 ⋅ 108

4,31 ⋅ 108

1,00 ⋅ 109

3,29 ⋅ 109

5,20 ⋅ 1010

3,12 ⋅ 1012

5,58 ⋅ 1014

Eine weitere Klassifizierung von Gerüchen kann mithilfe von Kreuzadaptionen vorgenommen werden. Nach einer bestimmten Zeit ist es nicht mehr möglich, einen bestimmten Geruch wahrzunehmen (Adaption), andere Gerüche können hingegen trotzdem noch wahrgenommen werden (Kreuzadaption) [8, S. 784]. Das Phänomen der Adaption kann am Beispiel von Vanillin und Cumarin verdeutlicht werden (siehe Online‐Ergänzung Versuch 6 „Geruchsadaption – Gerüche lassen sich maskieren“). Riecht man an einer Mischung aus Vanillin und Cumarin, wird man zunächst nur das Vanillin riechen können. Adaptiert man den Geruch mit Vanillin, indem man intensiv an der Reinsubstanz riecht, wird man beim erneuten Riechen an der Mischung nicht mehr das Vanillin, sondern vielmehr das Cumarin riechen können, welches einen heuartigen Geruch aufweist. Somit kann gezeigt werden, dass Gerüche sich durch intensivere Gerüche überdecken lassen. Es ist daher bei Geruchsproben generell wichtig, die Nase zwischen einzelnen Proben zu neutralisieren. Dies kann entweder durch kurzes Riechen an einer Zitronensaftlösung (wenn keine Zitrusdüfte untersucht werden), durch Riechen an Kaffeebohnen oder durch Riechen des Eigengeruchs, beispielsweise an der Armbeuge, erfolgen 12.

3.2 Geschmack

Neben dem Geruchssinn ist auch der Geschmackssinn ein Sinn, der auf chemische Reize, jedoch nicht auf physikalische Reize reagiert. Im Gegensatz zum Geruchssinn handelt es sich beim Geschmackssinn um einen Nahsinn, bei dem die schmeckenden Substanzen direkten Kontakt mit den Rezeptoren der Zunge haben müssen. Zudem müssen die Substanzen wasserlöslich sein, damit ein Geschmack wahrgenommen werden kann [2, S. 20; 6, S. 526].

Auf der menschlichen Zunge liegen Geschmackspapillen und Geschmacksknospen. Dabei enthält die menschliche Zunge eines Erwachsenen 2.000–5.000 Geschmacksknospen, die in den Geschmackspapillen auf der Zunge und im Gaumen des Menschen verteilt sind. In den Geschmacksknospen sind wiederum die Geschmackssinneszellen mit den Geschmacksrezeptoren eingebettet. Die Geschmackspapillen lassen sich in drei verschiedene Typen unterscheiden: Pilzpapillen, Blätterpapillen und Wallpapillen. Die größte Gruppe der Geschmackspapillen stellen die Pilzpapillen (Papillae fungiformes) dar, die über die gesamte Zungenoberfläche verteilt sind, jedoch nur 3–4 Geschmacksknospen enthalten. Am hinteren Seitenrand der menschlichen Zunge sind die Blätterpapillen (Papillae foliatae) lokalisiert, die etwa 50 Geschmacksknospen besitzen. Die großen Wallpapillen (Papillae vallatae) sind an der Grenze zum Zungengrund zu finden. Diese enthalten häufig über 100 Geschmacksknospen [8, S. 774]. Neben den Pilz‐, Blätter‐ und Wallpapillen sind noch die Fadenpapillen (Papillae filiformes) als vierte Papillenart bekannt. Fadenpapillen rauen die Zungenfläche auf, enthalten jedoch keine Geschmacksknospen und sind für das Texturempfinden verantwortlich [2, S. 20 f.].

Die in der Alltagssprache als die fünf Geschmacksrichtungen bezeichneten Geschmäcker süß, sauer, salzig, bitter und umami werden wissenschaftlich als Geschmacksqualitäten bezeichnet. Die genannten Geschmacksrichtungen sind dabei die fünf primären Geschmacksqualitäten. Die auf der Zunge verteilten Rezeptorzellen sind gemeinsam für alle primären Geschmacksrichtungen zuständig, wobei sich lokal jedoch unterschiedliche Intensitäten feststellen lassen [8, S. 776].

Um die fünf verschiedenen Geschmacksqualitäten kennenzulernen, kann der Versuch 7 „Zuordnung der Geschmacksqualitäten“ aus der Online‐Ergänzung herangezogen werden. Hierfür werden fünf Lösungen mit den fünf Geschmacksqualitäten (süß, sauer, salzig, bitter und umami), beschriftet mit den Nummern eins bis fünf, bereitgestellt. Die Lösungen sollen nacheinander von den Schülerinnen und Schülern probiert werden. Ziel dieser deskriptiven Prüfung ist die qualitative Analyse der fünf Geschmacksqualitäten. Aufbauend auf den Versuch kann mit den Schülerinnen und Schüler herausgearbeitet werden, wie die einzelnen Geschmacksqualitäten zustande kommen, beziehungsweise der Versuch kann aufbauend auf die fachliche Klärung der Entstehung der fünf Geschmacksqualitäten durchgeführt werden.

Damit ein süßer Geschmack wahrgenommen werden kann, benötigt man pro Molekül mindestens zwei polare Substituenten [8, S. 778]. Die süßschmeckenden Substanzen binden am Süßrezeptor T1R2/T1R3 (Taste Receptor), wodurch über das G‐Protein Gustducin eine intrazelluläre Reaktionskaskade in Gang gesetzt wird. Durch das Enzym Phospholipase C wird der Calcium‐permeable Kanal (TRPM5‐Kanal) geöffnet, sodass die Calciumionen in das Zellinnere eindringen können. Daraus resultiert ein Anstieg der Calciumionenkonzentration innerhalb der Zelle, wodurch die Zelle depolarisiert wird und Transmitter wie beispielsweise Adenosintriphosphat (ATP) oder Serotonin freigesetzt werden, sodass eine Weiterleitung zum Gehirn erfolgt [2, S. 21 f.; 6, S. 536; 8, S. 778].

Um eine saure Substanz schmecken zu können, müssen Protonen freigesetzt oder erzeugt werden. Aufgrund der Wasserlöslichkeit entfalten saure Substanzen ihren Geschmack, indem die Moleküle in Wasser bzw. im Speichel dissoziieren [8, S. 777]. Die freigesetzten Oxoniumionen dringen in die Geschmackszellen ein und bewirken somit eine Aktivierung der Geschmacksrezeptoren, die dabei durch zwei unterschiedliche Möglichkeiten aktiviert werden können: einerseits direkt durch den Einstrom von Protonen, die die Geschmacksrezeptoren aktivieren, und andererseits durch die Öffnung oder Blockierung bestimmter Ionenkanäle durch die Protonen und damit einer veränderten Membranpolarität. Letzteres führt schließlich zur sauren Geschmackswahrnehmung [2, S. 22].

Lebensmittel, die gelöste Ionen besitzen oder bei denen sich im Mund Ionen im wässrigen Speichel lösen, werden als salzig schmeckend empfunden, wenn dabei bestimmte Ionen gelöst vorliegen. Sowohl die Anionen als auch die Kationen tragen dabei zur Geschmacksintensität der Salzigkeit bei. Kochsalz weist einen rein salzigen Geschmack auf, wohingegen alle anderen Salze zusätzlich einen süßen oder bitteren Geschmack aufweisen können. Beim Essen salzhaltiger Lebensmittel kommt es zum Einstrom von Natriumionen in die Zelle, indem die Natriumionen einen kationenpermeablen Ionenkanal passieren. Die Zellen werden depolarisiert, was eine Reizweiterleitung zum Gehirn bewirkt [2, S. 22; 8, S. 777].

Die Empfindung für einen bitteren Geschmack ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Einerseits kann ein leicht bitterer Geschmack in Lebensmitteln als angenehm wahrgenommen werden, wohingegen andererseits ein stark bitterer Geschmack auf Ablehnung stoßen kann [2, S. 22 f.]. Dabei haben bittere Substanzen die niedrigste Geschmacksschwelle, wobei der bittere Geschmack nicht auf einer gemeinsamen Grundstruktur basiert. Etwa 25 verschiedene spezifische Rezeptorproteine sind für den bitteren Geschmack bekannt [8, S. 778]. Die Bitterrezeptoren werden unter der Bezeichnung TAS2Rs (taste 2 receptors) zusammengefasst. Durch den Kontakt der bitteren Substanzen mit den Rezeptorproteinen wird über Gustducin der gleiche Signalweg aktiviert wie beim Süßgeschmack [8, S. 778].

Eine weitere Geschmacksqualität ist umami. Das Wort stammt aus dem Japanischen (die Qualität wurde von japanischen Forschern gefunden) und heißt übersetzt „köstlich“, „nach Fleisch schmeckend“ [2, S. 24, 6, S. 553]. Diese Geschmacksqualität wird von Natriumglutamat hervorgerufen, das in der Lebensmittelindustrie als Geschmacksverstärker eingesetzt wird. Die Geschmacksrichtung umami kann wahrgenommen werden, wenn Natriumglutamat an dem spezifischen Rezeptorpaar T1R1/T1R3 bindet [6, S. 537]. Durch den Kontakt von Natriumglutamat mit dem spezifischen Rezeptorpaar T1R1/T1R3 wird über das G‐Protein Gustducin der gleiche Signalweg aktiviert wie beim Süßgeschmack [8, S. 778].

Um eine der fünf primären Geschmacksqualitäten wahrnehmen und schmecken zu können, muss für die jeweilige Geschmacksqualität die Schwellenkonzentration überschritten werden. Die Referenzsubstanzen sowie die einzelnen Schwellenkonzentrationen der fünf primären Geschmacksqualitäten süß, salzig, sauer, bitter und umami können der Tabelle 3 entnommen werden (Tab. 3).

Table 3. Geschmacksqualitäten mit ihren Referenzsubstanzen und Schwellenkonzentrationen [5, S. 89; 8, S. 776].

Geschmack

Substanz

Schwelle [molurn:x-wiley:09445846:media:ckon202000016:ckon202000016-math-0002 ]

Schwelle [gurn:x-wiley:09445846:media:ckon202000016:ckon202000016-math-0003 ]

süß

sauer

salzig

bitter

umami

Saccharose

Citronensäure

Natriumchlorid

Coffein

Natriumglutamat

0,01

0,0023

0,01

0,001

0,0014

4,10

0,44

0,70

0,19

0,24

Wie auch beim Geruch kann ebenfalls nach einer bestimmten Zeit durch Adaption kein bestimmter Geschmack mehr wahrgenommen werden. Dabei kann es bis zu Stunden dauern, bis die ursprüngliche Empfindlichkeit des Geschmackes wiederhergestellt ist. Weiterhin können auch Geschmackswahrnehmungen durch den Hunger‐ und Sättigungszustand unterschiedlich wahrgenommen werden. So können im Hungerzustand süße und salzige Komponenten in einer niedrigeren Konzentration wahrgenommen werden als bei Sättigung. Die Wahrnehmung des bitteren Geschmacks ist hingegen unabhängig vom Hunger‐ bzw. Sättigungszustand [2, S. 25 f.]. Dies ist darin begründet, dass bittere Stoffe in der Regel Unreife oder Giftigkeit eines Nahrungsmittels signalisieren, die unabhängig vom Sättigungsgrad nicht gegessen werden sollten.

Geruch und Geschmack können zusammen interagieren. Ein Beispiel für diese Interaktion ist der Zucker‐Zimt‐Versuch (siehe Versuch 8 „Interaktion von Geruch und Geschmack“ in der Online‐Ergänzung). Hierbei hält man sich die Nase zu und gibt die Zucker‐Zimt‐Mischung in den Mund. Zunächst kann nur die krümelige Konsistenz der Mischung wahrgenommen werden. Erst wenn sich der Zucker im Speichel gelöst hat, kann der süße Geschmack des Zuckers erkannt werden. Öffnet man schließlich die Nase, kann diese den Geruch von Zimt wahrnehmen. Somit kann gezeigt werden, dass Stoffe, die man schmecken kann (Zucker), wasserlöslich und Stoffe, die man riechen kann (Zimt), leicht flüchtig sein müssen. Zudem kann verdeutlicht werden, dass vieles, was wir im Alltag als „Geschmack“ beschreiben, eigentlich eine Geruchswahrnehmung ist.

3.3 Trigeminale Wahrnehmung

Neben den fünf primären Geschmacksqualitäten sind noch metallisch, scharf, kühlend und adstringierend als so genannte Geschmacksempfindungen bekannt, die den trigeminalen Wahrnehmungen zugeordnet werden können. Tabelle 4 enthält die für die einzelnen Geschmacksempfindungen relevanten Referenzsubstanzen sowie deren Schwellenkonzentrationen, soweit diese bekannt sind (Tab. 4).

Table 4. Geschmacksempfindungen, Referenzsubstanzen und ihre Schwellenkonzentrationen [5, S. 89; 13, S. 443; 14, S.14].

Empfindung

Substanz

Schwelle [gurn:x-wiley:09445846:media:ckon202000016:ckon202000016-math-0004 ]

metallisch

fettig

adstringierend

scharf

kühlend

Eisen(II)‐sulfat‐Heptahydrat

Ölsäure

Tanninsäure oder Quercetin

Capsaicin

Menthol

0,0019

unbekannt

0,5

Unbekannt

0,0013

Die trigeminale Wahrnehmung wird über den Trigeminusnerv (Nervus trigeminus) gesteuert, welcher auf die gesamte Gesichtsregion Einfluss nimmt. Der Trigeminusnerv wird auch als Drillingsnerv bezeichnet, da dieser Nerv aus drei Ästen, Stirn‐ (N. ophthalmicus), Oberkiefer‐ (N. maxillaris) und Unterkieferast (N. mandibularis) besteht, die aus einem sensiblen Nervenknoten (Ganglion trigeminale) entspringen (Abb. 4).

image

Darstellung des Trigeminusnervs (Nervus trigeminus) [15, S. 115].

Im Gegensatz zum olfaktorischen System besitzen die trigeminalen Nervenfasern keine spezifischen Rezeptorproteine. Demnach werden die entsprechenden Reize über die freien und sensiblen Endbereiche der trigeminalen Nervenfasern aufgenommen. Für die Wahrnehmung von unterschiedlichen Geruchsempfindungen sind zwei Bereiche im trigeminalen System verantwortlich: das trigeminale System der Nasenhöhle und das trigeminale System der Mundhöhle. So können durch das trigeminale System der Nasenhöhle (nasal‐trigeminal) Gerüche als stechend, brennend, kühlend oder beißend empfunden werden. Substanzen, die diese Geruchsempfindungen hervorrufen können, sind flüchtige Substanzen wie beispielsweise Menthol und Eukalyptus (kühlend), sowie Essigsäure, Ammoniak und Chlor (stechend‐beißend). Scharfe, prickelnde und brennende Empfindungen können hingegen vom trigeminalen System der Mundhöhle (oral‐trigeminal) vermittelt werden. Für eine scharfe Empfindung ist beispielsweise das in Pfeffer enthaltene Piperidin oder das in der Chilischote vorkommende Capsaicin verantwortlich [12, 16, S. 44 f.].

Die Geschmackswahrnehmung adstringierend gehört ebenfalls in die Gruppe der trigeminalen Wahrnehmungen, da adstringierende Lebensmittel eine Stimulierung des Gesichtsnervs hervorrufen. Die adstringierende Wahrnehmung beschreibt eine Empfindung, bei der es den Mund und die Zunge zusammenzieht. Diese Empfindung ist beispielsweise von Lebensmitteln wie Tee, Schokolade oder Rotwein bekannt, darf aber nicht mit der Geschmacksqualität bitter verwechselt werden. Während bei der Geschmacksqualität bitter etwa phenolische Verbindungen an den Bitterrezeptoren anlagern und so einen bitteren Geschmack auslösen, wird die Empfindung der Adstringenz durch Reizung des Trigeminusnerves ausgelöst. Zudem wird das zusammenziehende Gefühl im Mundraum durch die Wechselwirkung von Phenolen und Tanninen mit den Proteinen des Speichels hervorgerufen. Durch die dabei ausgefällten Speichelproteine wird die Reibung im Mund erhöht, wodurch ein raues/pelziges Gefühl auf der Zunge und im Mundraum verspürt werden kann. Somit ist die Adstringenz ein Zusammenspiel aus der Reizung trigeminaler Nervenenden und der Stimulierung der Zunge [17, S. 30 ff.].

Der metallische Geschmackseindruck erlangt immer mehr an Bedeutung, da ein metallischer Geschmack in einem Lebensmittel häufig mit einem Mangel des Lebensmittels assoziiert wird. Ein solcher metallischer Fehlgeschmack wird beispielsweise in Ölen, Getreideprodukten, Milchprodukten oder auch in Bier beschrieben 18. Eingetragen werden kann der metallische Geschmack in Lebensmitteln vor allem durch den Kontakt mit Lebensmittelverpackungen, die aus Metall gefertigt sind, wie beispielsweise Fruchtsäfte aus der Dose, und auch durch den Kontakt mit metallischen Verarbeitungsgeräten. Jedoch ist es auch möglich, dass physiologische Ursachen, wie eine Schwangerschaft, zu einem metallischen Geschmackseindruck führen können. Dabei kann die metallische Wahrnehmung sowohl retronasal als auch direkt auf der Zunge hervorgerufen werden [2, S. 25; 18].

Um die Geschmacksempfindungen adstringierend und metallisch kennenzulernen, kann der Versuch 9 „Zuordnung der Geschmacksempfindungen“ aus der Online‐Ergänzung herangezogen werden. Für diese deskriptive sensorische Prüfung werden zwei Lösungen mit den zwei Geschmacksempfindungen, beschriftet mit den Nummern eins und zwei, bereitgestellt. Die Lösungen sollen nacheinander von den Schülerinnen und Schülern probiert werden. Ziel ist die qualitative Analyse der zwei Geschmacksempfindungen. Aufbauend auf den Versuch kann mit den Schülerinnen und Schülern herausgearbeitet werden, wie die Geschmacksempfindungen zustande kommen, beziehungsweise der Versuch kann aufbauend auf die fachliche Klärung der Entstehung der Geschmacksempfindungen durchgeführt werden.

4 Anknüpungspunkte im Chemieunterricht

In der fachdidaktischen Literatur finden sich bislang keine Veröffentlichungen zur Sensorik im Chemieunterricht, wohl aber sind Unterrichtsmaterialien für die Klassenstufen 5 und 6 erschienen. Es handelt sich um verschiedene Arbeitsblätter, in denen der Geruchs‐ und Geschmackssinn getestet werden soll. Zur Untersuchung des Geschmackssinns werden Tests vorgeschlagen, in denen verschiedene bekannte Lebensmittel, wie beispielsweise Zitrone, Apfel, Schokolade sowie Käse, sowohl mit zugehaltener als auch mit offener Nase probiert und die Geschmacksrichtung beschrieben werden sollen, ebenso wie Unterschiede, die sich mit zugehaltener und geöffneter Nase ergeben [19, S. 55]. Weiterhin werden Geschmackstest benannt, bei denen die unterschiedlichen primären Geschmacksqualitäten erkannt und unterschieden werden sollen [20, S. 29] und ein Test, bei dem mithilfe verschieden konzentrierter Zuckerlösungen der Zuckergehalt eines Kinderpunsches eingeordnet werden kann 21. In Bezug auf den Geruchssinn gibt es Unterrichtsmaterialien, bei denen an unterschiedlichen Proben gerochen wird. Dabei soll erraten werden, um welche Stoffe und Lebensmittel es sich handelt. Dafür werden verschiedene undurchsichtige Flaschen beispielsweise mit Kräuteressig, Lavendel, Pfeffer, Zimt und Nelken befüllt [20, S. 30]. Auch im WWW finden sich viele Materialien, die aber in der Regel für den Biologieunterricht konzipiert wurden und die chemischen Aspekte außer Acht lassen. In verschiedenen Kerncurricula finden sich jedoch Bezüge zu Geruch und Geschmack als Stoffeigenschaften, wofür aber bislang keine Materialien zur Verfügung stehen. Für die höheren Klassenstufen wird dieses Thema in den Chemie‐Kerncurricula nicht mehr aufgegriffen, sodass ein vertieftes Verständnis für die chemischen Aspekte der chemischen Sinne nicht aufgebaut werden kann. Im Folgenden soll deshalb aufgezeigt werden, welche Kompetenzen der jeweiligen Basis‐Konzepte man durch die Thematisierung der Lebensmittelsensorik adressieren kann und wie eine spiralcurriculare Verankerung aussehen könnte.

In der Sekundarstufe I können beim Thema „Stoffe im Alltag“, das je nach Bundesland in Klasse 6 oder 7 unterrichtet wird, erste sensorische Versuche eingebunden werden, denn dort sollen Kompetenzen wie z. B. „Schülerinnen und Schüler (SuS) unterscheiden Stoffe anhand ihrer mit den Sinnen erfahrbaren Eigenschaften“ (Basiskonzept: Stoff‐Teilchen) [22, S. 51 KC Chemie NDS Sek. I], „messbare und nicht messbare Stoffeigenschaften“ (Basiskonzept: Struktur der Materie) [23, S. 20 KC Chemie NRW Sek. I] oder „beschreiben die Eigenschaften von Stoffen und ordnen Stoffe nach verschiedenen Kriterien“ (Basiskonzept: Struktur‐Eigenschaft) [Bayern Klasse 8], vermittelt werden. Somit können bereits im Chemie‐Anfangsunterricht die Geschmacksqualitäten durch Riechen und Schmecken unterschieden und einfache Versuche zum Geruch und Geschmack durchgeführt werden, wie beispielsweise die Zuordnung der primären Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami oder auch die Rangordnungsprüfung (Versuch 3 in der Online‐Ergänzung), bei der ein Lebensmittel nach der Intensität auf‐ oder absteigend angeordnet werden soll. Somit sind die SuS in der Lage chemische Sachverhalte in der Lebenswelt zu erkennen und „beschreiben, dass Chemie sie in ihrer Lebenswelt umgibt“ (Basiskonzept: Stoff‐Teilchen) [22, S. 51 KC Chemie NDS Sek. I]. Damit ist insbesondere die Kompetenz verbunden, „Phänomene aus chemischer Perspektive bewusst wahrnehmen und beschreiben“ zu können [23, S. 17 KC Chemie NRW Sek. I]. Im KC Naturwissenschaften für Berlin und Brandenburg wird in der Jahrgangsstufe 5/6 ebenfalls auf Geruch und Geschmack als Stoffeigenschaft Bezug genommen und mit den entsprechenden biologischen Themen verbunden [24, S. 22].

Sobald im Doppeljahrgang 9/10 der Konzentrationsbegriff eingeführt wurde, können darauf aufbauend Wahrnehmungs‐ und Erkennungsschwellen bei Gerüchen und Geschmäckern vermittelt werden (Basiskonzept: Chemische Reaktionen) [22, S. 61 KC Chemie NDS Sek. I], da nun die Wahrnehmung eines Stoffes an dessen Konzentration in der Luft bzw. in einer Lösung gekoppelt werden kann. Saure und basische Lösungen eröffnen die Thematisierung. Die Rangordnungsprüfung kann zu diesem Zeitpunkt durch objektive Messverfahren, wie zum Beispiel pH‐Wert‐Messungen unterstützt werden. Da in diesem Doppeljahrgang auch Ionen und Salze eingeführt werden, können nun die Geschmackqualitäten salzig und sauer chemisch erklärt werden. Der salzige Geschmack eines Lebensmittels lässt sich nun auf das Vorhandensein bestimmter Ionen zurückführen und die SuS können damit ausgewählte Eigenschaften von Salzen erläutern (Basiskonzept: Struktur der Materie) [23, S. 29 KC Chemie NRW Sek. I]. Darüber hinaus bieten diese Versuche Anknüpfungspunkte zur Bewertung der Verwendung von Salzen im Alltag (Basiskonzept: Struktur der Materie) [23, S. 30 KC Chemie NRW Sek. I].

In der Sekundarstufe II können Geruchstransportproteine sowie G‐Protein‐gekoppelte Rezeptoren und damit die Biochemie der drei Grundgeschmacksarten süß, bitter und umami thematisiert und erklärt werden können. An dieser Stelle bietet sich wiederum ein Fachübergriff zur Biologie an, wo die Schülerinnen und Schüler die Struktur‐Funktionsbeziehungen beispielsweise für Rezeptormoleküle erläutern sollen (Basiskonzept: Struktur und Funktion) [22, S. 30 KC Biologie NDS Sek. II]. Zudem sollen die Schülerinnen und Schüler Signalübertragungen verstehen können. Es bietet sich an, dass die Signaltransduktion am Beispiel des Geruchssinns erläutert wird [22, S. 54 KC Biologie NDS Sek. II]. Darüber hinaus kann in der Sekundarstufe II bei der Behandlung der Chiralität das Phänomen der unterschiedlichen Gerüche verschiedener Enantiomere thematisiert werden (Basiskonzept: Stoff‐Teilchen). Die unterschiedlichen Gerüche eines Moleküls mit der vermeintlich gleichen Strukturformel sollen die SuS zu der Erkenntnis führen, dass unterschiedliche Strukturen vorliegen müssen, da Rezeptoren in der Regel spezifisch für ein Molekül sind. Ein Beispiel dafür sind die Enantiomere d‐ und l‐Carvon, die im Versuch 5 der Online‐Ergänzung genutzt werden [22, S. 15 KC Chemie NDS Sek. II]. Weiterhin kann in diesem Zusammenhang auch die Olfaktometrie mittels GC‐O als besonderes gaschromatographisches Trennverfahrens eingeführt werden 25. Dabei werden Gerüche sowohl qualitativ abgerochen als auch die Aromastoffe über das Chromatogramm quantifiziert. Durch die unterschiedlichen Retentionszeiten lernen die Schülerinnen und Schüler, dass chirale Stoffe über unterschiedliche physikalische Eigenschaften verfügen. Die damit verbundenen Kompetenzen liegen unter anderem in der Erkenntnisgewinnung, da aus den Informationen des Chromatogramms auf die Substanz geschlossen werden kann [23, S. 26 KC Chemie NRW Sek. II].

Biographical Information

Stephanie Muche studierte von 2011 bis 2016 Lebensmittelchemie an der TU Braunschweig. Nach einen erfolgreichen 1. Staatsexamen mit Diplom absolvierte sie das praktische Jahr zur staatlich geprüften Lebensmittelchemikerin beim Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Seit 2018 promoviert sie nach erfolgreichem 2. Staatsexamen in der Chemiedidaktik der Universität Oldenburg im Arbeitskreis von Prof. Dr. Verena Pietzner im Bereich der instrumentellen Analytik der Lebensmittel.

Biographical Information

Verena Pietzner, geb. 1973, studierte Chemie und Mathematik für Lehramt an der Universität Bielefeld. Nach Promotion und Habilitation (2010) in Braunschweig wurde sie Professorin für Chemie und ihre Didaktik an der Universität Hildesheim; seit 2014 hat sie den Lehrstuhl für Didaktik der Chemie an der Universität Oldenburg inne. Seit Januar 2020 ist sie Vizepräsidentin für Studium, Lehre und Internationales der Universität Oldenburg.

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