Heimlich, Steven
(2008)
Geschichtsrevisionismus als Instrument der „Neuen Rechten“ am Beispiel der 68er-Bewegung.
["eprint_fieldopt_thesis_type_diplom-magister" not defined], Universität Oldenburg.
Abstract
Die Bildung der rot-grünen Regierungskoalition 1998 wurde vielerorts mit der Machtübernahme der 68er-Bewegung assoziiert. Während Gerhard Schröder, Otto Schily und Joschka Fischer in die höchsten Staatsämter wechselten, machten einige ihrer prominenten Mitstreiter von einst durch ein ungewöhnliches Bekenntnis von sich Reden: sie entpuppten sich als Anhänger oder Parteigänger der extremen Rechten.
40 Jahre nach der Revolte stehen sich die Protagonisten in zwei antagonistischen Gruppen gegenüber, die um die Deutungshoheit über die „Chiffre 1968" (Detlef Claussen) streiten. Beide Gruppen berufen sich auf dieses historische Erbe, um ihren heutigen Standpunkt zu legitimieren.
Die Gruppe derer, die nach dem Marsch durch die Institutionen zu Repräsentanten des Systems der parlamentarischen Demokratie geworden sind, interpretiert 1968 als Ausgangspunkt einer „nachträglichen Demokratisierung“ und „kulturellen Verwestlichung“ der Bundesrepublik. Ihre Berufung auf die Regierungsbank werten sie als Würdigung ihrer historischen Leistung und als Etablierung der emanzipativen Werte, die sie von außen in das System trugen. So schaffen sie einen integrativen Mythos: 1968 wird zum einschneidenden Erinnerungsort in der Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Entwicklung zwischen 1968 bis 1998 vollzog sich demnach nicht ohne schmerzhafte Reibungen und fatale Irrtümer, aber letztlich doch als kontinuierlicher Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozess. Die Chiffre ‘68 erhält den „Rang eines nationalen Gedenkdatums“, welches das „Selbstverständnis der Bundesrepublik“ prägt.
Die Gruppe der rechtsgewendeten Ex-68er profiliert sich dagegen als Kritiker von Regierung und Regierungsform. Sie betont den Gegensatz zwischen dem Aufbruch der Sechziger und der gegenwärtigen Regierungspraxis. Dem herrschenden Establishment wirft sie vor, die ursprünglichen Ideale und Ziele verraten zu haben.
Dieses gegenwärtige Schreckensszenario der nationalen Identitätslosigkeit wird mit dem romantisch verklärten Bild des nationalrevolutionären Befreiungskampfs in der Vergangenheit kontrastiert. Die Chiffre 1968 wird zum exklusiven Mythos einer subkulturellen Gruppe, die das herrschende System überwinden möchte. Sie beruft sich auf den Widerstandgeist der Revolte und schafft sich so die narrative Grundlage, um sich als Gemeinschaft ewiger Rebellen und Querdenker zu konstituieren.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Anstrengungen der „Neuen Rechten“ die gesellschaftliche Relevanz und die ästhetisierte öffentliche Wahrnehmung der "Chiffre 1968" für ihre politische Zielsetzung zu instrumentalisieren.
Untersucht wird, wie die Bewegung von 1968 als historische Symbiose populär besetzter „linker“ Theorien (Sozialismus, Antiimperialismus), Strategien (Außerparlamentarismus), Organisationsformen (Aufbauorganisationen, Basisgruppen, Räte), Protestformen (sit-ins, teach-ins) und Codes (Symbole, Kleidung, Sprache) innerhalb der „Neuen Rechten“ wahrgenommen, bewertet und ggf. mit den Mitteln des Geschichtsrevisionismus integriert wird.
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